Achtung: Hier wohnen Drachen – und Drachinnen

Geschlechtergerechtes Deutsch:
ein pragmatischer Ansatz

Problematik und Ausgangssituation

Die deutsche Sprache bietet keine bequeme Möglichkeit, eine gemischtgeschlechtliche Personengruppe oder eine Person undefinierten Geschlechts zu bezeichnen. Die klassische Lösung ist das generische Maskulinum: Die männliche Form wird für beide bzw. alle Geschlechter genutzt, die weiblichen Individuen sind „mitgemeint“. Man sagt, „ich gehe zum Bäcker“, auch wenn es sich beim „Bäcker“ um eine Bäckerin handelt.

Seit dem späten 20. Jahrhundert stößt diese Lösung bei der deutschsprachigen Bevölkerung zunehmend auf Unzufriedenheit – eine Unzufriedenheit, die auch die Verteidiger des generischen Maskulinums zur Kenntnis nehmen müssen.

Unter dem Überbegriff des „Genderns“ wird seit mehreren Jahrzehnten versucht, dieses Problem zu lösen. Hier die gängigsten Lösungsformen, anhand des Beispiels Lehrer bzw. Lehrerin:

Diese Lösungen lassen sich grob in folgende Gruppen aufteilen:

Andere Lösungen fallen zum Teil in keine dieser beiden Gruppen. Dazu gehört die Substantivierung (Lehrende), die manchmal eine sehr gute Lösung darstellt. Ihr Nachteil ist jedoch, dass sie nicht allgemeingültig angewendet werden kann.

Bis heute hat sich keine der radikalen Lösungen durchsetzen können, um als allgemeingültig oder zumindest bevorzugt zu gelten. Im Gegenteil: Neue Varianten sprießen wie Pilze aus dem Boden. Lange Zeit war das Binnen-I, das durch die Schweizer linke Wochenzeitung WOZ seit 1983 recht konsequent benutzt wird[1], wohl die beliebteste Lösung. Dennoch gehen viele Stellen, insbesondere im akademischen Bereich, inzwischen zum Genderstern über. Dies wird mit der Notwendigkeit begründet, die nichtbinären Geschlechter berücksichtigen zu müssen. Die Hansestadt Lübeck beispielsweise hat den Genderdoppelpunkt eingeführt mit dem Argument, er ließe sich leichter auf der Tastatur finden. Als Folge muss sich die Leserin bzw. der Leser nicht nur an eine ungewohnte Sprachform gewöhnen, sondern an mehrere.

Der Aspekt Ideologie

Diskussionen der Genderthematik gelangen schnell in den Bereich des Ideologischen. Es haben sich zwei Lager gebildet: ein konservatives, das das klassische generische Maskulinum als adäquate Lösung und die Einführung anderer Sprachformen als ideologisch (und nicht sachlich) motiviert betrachtet, sowie ein politisches, für dessen Vertreter und Vertreterinnen das Opfern der bisherigen sprachlichen Gepflogenheiten ein kleiner Preis im Interesse der Gleichstellung der Geschlechter ist. Diskussionen der Genderthematik, bei denen die ideologisch-politische Komponente nicht im Vordergrund steht, gibt es kaum.

Gerade die „radikalen“ sprachlichen Lösungen erwecken den Eindruck, dass es nicht nur darum geht, den Hinweis auf beide Geschlechter zum Ausdruck zu bringen, sondern lautstark zu verkünden, dass dies auch gemacht wurde. Die Formulierung Lehrer und Lehrerinnen ist in ihrer Wirkung die Sprache der Leserbriefkolumne, Lehrer*innen und Lehrer!nnen die des Graffitisprühens – ungeachtet ihrer Übernahme z. T. durch amtliche Stellen.

Der Aspekt Zweckmäßigkeit

Dass die konservativen Gegner der geschlechtergerechten Sprache (auch der gesprochenen Sprache, bei der das Binnen-I durch den Glottisschlag umgesetzt wird) mit Entsetzen auf deren Ausmaße blicken, ist nicht verwunderlich. Man muss nicht Sprachpurist oder besonders konservativ geprägt sein, um beim Lesen mancher gegenderter Schriften zu stolpern – wie z. B. bei diesem Satz aus einem Flyer der Bergischen Universität Wuppertal[2]:

Zudem steht jedem*jeder Studienanfänger*in, der*die dies möchte, während des Studiums ein*e Mentor*in bei, der*die ihn*sie bei der Studienplanung und bei individuellen Fragen im Studium unterstützt.

Aber auch die Konventionen, die auf eine Sprachökonomie in der Gruppenbezeichnung abzielen, vernachlässigen das Problem der Pronomen. StudentInnen oder Studierende ist schön und gut (oder je nach Ansicht auch nicht), oft besteht jedoch die Notwendigkeit, den einzelnen Studierenden bzw. die einzelne Studierende zu thematisieren. Und dann war’s das mit der Sprachökonomie.

Darf man Sprache verändern?

Nein, lautet vielfach die Antwort aus dem (sprachlich) konservativen Lager. Die Sprache erlebe zwar eine Evolution, aber in diese dürfe der Mensch nicht eingreifen, das wäre ähnlich wie Genmanipulation.

Dass Sprache sich verändert, steht nicht zur Debatte – dafür gibt es etliche Beweise. Neue Begriffe werden bewusst für bisher unbekannte Konzepte geprägt. Manche sprachlichen Änderungen hingegen kommen auch durch Unkenntnis oder Fehler zustande. Von sich aus ändert sich Sprache jedoch nicht. In jedem Fall, wo sie sich verändert hat, war ein Mensch am Werk.

Dass man sie ändern darf und kann, steht ebenfalls nicht zur Debatte. Denn wo dies erfolgt, werden die Änderungen oft in den sprachlichen Kanon übernommen. Um den Genderdoppelpunkt einzuführen, brauchte die Stadt Lübeck auch von niemandem Erlaubnis.

Warum also nicht einsehen, dass man Sprache verändern kann (und darf), und sie bewusst im Interesse einer gestiegenen Zweckmäßigkeit verändern, anstatt Veränderungen dem Zufall und der Willkür zu überlassen?

Ein Blick über den Ärmelkanal/großen Teich

Gerne wird der deutschen Sprache an sich die Schuld an der Gendermisere gegeben. Die Angelsachsen hätten es viel leichter; im englischsprachigen Raum sind ein Lehrer und eine Lehrerin beide a teacher, Punkt.

Ganz richtig ist das allerdings nicht, denn das Problem mit den Pronomen hat die englische Sprache nämlich auch. Zwar wird oft das Pluralpronomen they benutzt (in Verbindung mit der Pluralform des Verbs), um auf eine Person unbekannten Geschlechts zu verweisen, diese Lösung wird jedoch von den Puristen immer noch hartnäckig als ungrammatisch bekämpft – und zwar schon seit Shakespeares Zeiten.

Im Englischen gibt es ebenfalls weibliche Formen von Berufsbezeichnungen, wenn auch nicht annähernd so viele wie im Deutschen. Gerade hier lohnt sich durchaus der Blick über den Tellerrand. Obwohl es zum Beispiel im englischsprachigen Raum den Begriff Manageress gibt, wird er dort kaum noch benutzt. Eine Manageress war ohnehin nie ein weiblicher richtiger Manager, sondern der Begriff beschränkte sich auf Leiterinnen von Kleinstbetrieben, z. B. Imbissen. Eine Managerin, die sich für eine hält, nennt sich auf Englisch „Manager“. Erst durch das Pronomen erfährt man das Geschlecht dieser Person.

Ähnlich verhält es sich mit actress. Zunehmend möchten Schauspielerinnen in der Anglosphäre genauso wie ihre männlichen Kollegen actors genannt werden – gerade das, wogegen Gegnerinnen des Patriarchats in Deutschland verbittert kämpfen.

Das generische Neutrum als Lösungsansatz

Als Argument für geschlechtergerechte Sprache wird in erster Linie angeführt, die deutsche Sprache sei in ihrer gängigen Form Frauen gegenüber diskriminierend. Darauf möchte ich an dieser Stelle nicht tiefer eingehen, sondern ein anderes Argument aufgreifen: Die deutsche Sprache ist in ihrer gegenwärtigen Form nicht ausreichend präzise, bzw. die Herbeiführung der erwünschten Präzision ist sehr umständlich. Man muss kein(e) Feminist*in sein, um das zu erkennen.

Ganz ideologiefrei betrachtet: Immer wieder ist es notwendig, ein Individuum unbestimmten oder unbekannten Geschlechts zu beschreiben.

Zum Beispiel möchte eine Schule einen Lehrer oder eine Lehrerin einstellen. Würde sie in die Zukunft schauen können, könnte die Schule schon in der Stellenausschreibung von „der Lehrerin“ oder „dem Lehrer“ sprechen. Da dies nicht der Fall ist, verhält es sich wie bei Schrödingers Lehrkraft: Die einzustellende Lehrkraft hat ein bestimmtes Geschlecht; solange sie noch nicht eingestellt ist, ist dieses Geschlecht jedoch unbekannt. Der Möglichkeit beider Geschlechter muss Genüge getan werden.

Traditionell wurde hierfür das generische Maskulinum, in diesem Fall der Lehrer, verwendet. Für die Beibehaltung des generischen Maskulinums gibt es mehrere Argumente. Es habe sich bewährt; viele Frauen würden sich durchaus mit eingeschlossen fühlen (viele freilich auch nicht); an der deutschen Sprache sollte man nicht herumdoktern; Genus und Sexus sind im Deutschen voneinander getrennte Konzepte, wie die Wörter Kind, Fachkraft oder Mensch auch belegen.

Der Vergleich z. B. mit dem generischen Neutrum Kind hinkt allerdings. Denn Kind ist unwiderlegbar eindeutig uneindeutig: Es deckt explizit Kinder beiden Geschlechts (bzw. aller Geschlechter) ab. Beim generischen Maskulinum ist das nicht der Fall: Der Lehrer kann entweder „männlich und weiblich“ oder „nur männlich“ bedeuten. Welches gemeint ist, ist dem bzw. der LeserIn oder ZuhörerIn nicht ersichtlich, wodurch das generische Maskulinum ohne Zusatzhinweis seinen Sinn verfehlt. Es gilt nicht nur die Annahme, mit dem generischen Maskulinum seien Frauen „mitgemeint“, sondern der Rezipient muss sich auch dessen bewusst sein, dass es sich bei der gewählten Form um das generische Maskulinum handelt. Hier weist die Sprache ein Defizit auf.

Doch gerade bei der Suche nach einer geschlechtergerechten Lösung für Pronomen und Bezeichnungen in der Einzahl kann die deutsche Sprache ihre Trumpfkarte ausspielen: die Trennung zwischen Genus und Sexus.

Das Mitglied ... es. Die Fachkraft ... sie. Das Kind ... es. Der Mensch ... er. Die Person ... sie.

Diese Lösung taucht in der oben aufgeführten Liste unter „Alternativbegriffe“ auf. Ihr Nachteil: Es gibt nicht für jede Personengruppe einen Alternativbegriff.

Für dieses Problem eröffnet sich eine Lösung in Form des generischen Neutrums. Anstelle von „wir stellen einen Lehrer ein“ (Lehrerinnen sind implizit „mitgemeint“) hieße es dann „wir stellen ein Lehrer ein“ (Lehrer jedes Geschlechts sind ausdrücklich gemeint).

Eine Verhunzung der deutschen Sprache? Ansichtssache. Für die Puristen ist jede Änderung der Sprache eine Verhunzung. Der Ansatz geht aber mit den allgemeinen Gepflogenheiten der deutschen Sprache durchaus konform, im Gegensatz zu den verschiedenen Gendersonderzeichen, die z. T. schon amtlichen Segen genießen.

Der Lösungsansatz generisches Neutrum ist nicht neu; er wurde z. B. 1991 von der führenden Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch befürwortet[3]. Leider fehlte Frau Pusch damals die Weitsicht, das Vertrauen, der Mut – was auch immer –, konsequent zu diesem Ansatz zu stehen. Stattdessen schlug sie eine Übergangszeit von 50 Jahren vor, in der das generische Femininum gelten sollte – und entzog dem Vorschlag damit seine Seriosität und gleichzeitig jegliche Chance der Umsetzung.

Der Ansatz des generischen Neutrums ist ein rein pragmatischer.

Nehmen wir obiges Beispiel aus dem Flyer der Bergischen Universität Wuppertal, das dann so aussieht:

Zudem steht jedem Studienanfänger, das dies möchte, während des Studiums ein Mentor bei, das es bei der Studienplanung und bei individuellen Fragen im Studium unterstützt.

Der Aspekt Akzeptanz

Würde die deutschsprachige Bevölkerung das generische Neutrum akzeptieren? Vermutlich schon, wenn es von offizieller Stelle eingeführt würde. Die Rechtschreibreform hat sich auch weitgehend durchgesetzt. Das gilt auch für die Abschaffung des Begriffs Fräulein innerhalb einer Generation; in Zeiten der Gleichberechtigung war dieser genauso überflüssig geworden wie die Bezeichnung Männlein. Das generische Neutrum ist gleichzeitig logisch und mit der sonstigen deutschen Grammatik im Einklang.

Muss man Sprache denn normieren? Nein. Aber es hilft bei der Verständigung ungemein. Das Schöne an Normen ist bekanntlich auch, dass es so viele zur Auswahl gibt. Das generische Neutrum müsste nicht vorgeschrieben werden; das werden die Interpunktionsgenderlösungen in der Regel auch nicht. Das generische Neutrum könnte aber gefordert und gefördert werden.

Reicht das generische Neutrum?

Eine Frage stellt sich noch. Wenn Lehrerinnen und Lehrer gleichermaßen die Bezeichnung (das) Lehrer tragen, wie bringt man dann die geschlechtliche Eigenschaft zum Ausdruck?

Die Gegenfrage lautet: Muss das Geschlecht überhaupt zwingend verdeutlicht werden? Auch hier lohnt sich der Blick über den sprachlichen Tellerrand. In manchen Sprachen gibt es nicht einmal getrennte Pronomen für die Geschlechter. Das gilt z. B. für das Ungarische und das Türkische. „Er weiß“ und „sie weiß“ gibt es im Türkischen nicht; das (!) Türke sagt immer „er/sie/es weiß“ (o bilir). (Während sich deutsche Muttersprachler über diese extreme Sprachökonomie laut wundern, fragen sich türkische Muttersprachler, wie die deutsche Lautsprache ohne Unterscheidung zwischen der zweiten und dritten Person Mehrzahl auskommt: Sie bzw. sie.)

Können wir uns von der Selbstverständlichkeit verabschieden, das Geschlecht müsse immer widergespiegelt werden? Das Lehrer, Punkt – es sei denn, es gibt einen Anlass, auf das Geschlecht hinzuweisen. Dann würde man von männlichen und weiblichen Lehrern sprechen. Wie im Englischen von male and female teachers.

Leider hängen deutschsprachige FeministInnen sehr an ihrem Suffix -in. So fügt die Redaktion des Dudens neuerdings fleißig weibliche Personenbeschreibungen und Berufsbezeichnungen[4] hinzu. Und das, obwohl etliche Beobachter schon erkannt haben, dass das unsymmetrische Bezeichnen von Frauen mit Suffix und Männern ohne Suffix eine Ungleichbehandlung darstellt. Unter anderem auch mein Deutschlehrer, Mr. Ward, ein Radikaler auf meinem stockkonservativen Gymnasium, der mich vor 40 Jahren auf den Missstand hinwies: Auch bei der Benennung beider Formen, also Lehrer und Lehrerin, bliebe Lehrer die Grund- und Lehrerin die abgeleitete Form. Der Zustand Norm = männlich schwingt bei diesem Sprachgebrauch mit.

Darum müssen die Lehrerinnen im Interesse der Gleichstellung sterben, und mit ihnen die Bäckerinnen, Politikerinnen und Pilotinnen. Es darf nur noch Lehrer, Bäcker, Politiker und Piloten geben: männliche und weibliche Lehrer, männliche und weibliche Bäcker, und so weiter.

Als Alternative könnte man, den Grundsatz der Symmetrie beibehaltend, männliche Suffixe ins Leben rufen oder wiederbeleben. Auch auf diese Möglichkeit hat Luise Pusch hingewiesen[5]. Das naheliegendste Suffix lautet ‑(er)ich, ein Zusatz, den man von Eigennamen wie Dietrich und Friedrich sowie von der Berufsbezeichnung Fähnrich kennt. Also der Lehrerich, der Bäckerich, der Politikerich und der Piloterich.

Wie viel Gendern verträgt der deutschsprachige Raum? Will ich bei meiner Frau für Heiterkeit sorgen, bezeichne ich mich als Übersetzerich. Ich probe meine neu entdeckte Geschlechtergerechtigkeit bei ihren Freundinnen, die den Vorschlag ebenfalls zum Brüllen lustig finden. Sie würden sich an Tiere erinnert fühlen, lautet der Einwand. Aber warum denn? Spricht man doch nicht von Lehrerinnen, ohne automatisch an Tiere zu denken, weil sie mit Hündinnen das Suffix teilen?

Bei Männern gilt das aber nicht. Ein Mann braucht kein Suffix, er ist die Norm. Wie die Akzeptanz von Lehrerich, Bäckerich, Politikerich oder Piloterich bei den Männern aussehen dürfte, kann man sich schon ausmalen. Es bliebe also wohl beim männlichen Lehrer und weiblichen Lehrer, und auf die Akzeptanz der Männerwelt wäre noch zu hoffen.

Fazit

Literatur

[1] Binnen-I – Wikipedia

[2] Flyer der Bergischen Universität Wuppertal, Informationstechnologie und Medientechnologie, Bachelor of Science (B.Sc.)

[3] „Das Gendersternchen ist nicht die richtige Lösung“. Interview von Nadja Schlüter mit Luise Pusch, jetzt

[4] Warum der Duden jetzt Berufe gendert, Christine Olderdissen, Genderleicht.de

[5] Das Deutsche als Männersprache, Luise Pusch, 1991, Suhrkamp / Insel

© Marc Prior 2021
Übersetzer für technische Fachtexte ins Englische, insbesondere in den Fachbereichen Automatisierung, Elektrotechnik, Elektronik, Maschinenbau und Arbeitsschutz.